21. August 2022

Photovoltaik in Gebäudehüllen

Lesezeit: 12 Minuten

Große Chancen für die Glas­industrie. Zum Stand der Entwicklung bei der bauwerkintegrierten Photovoltaik.

Deutschland braucht mehr Ökostrom, um seine Klimaschutzziele zu erreichen und um bezüglich der Energieversorgung unabhängig von politischen Einflüssen zu werden. Gebäudehüllen könnten ihn zu einem guten Teil liefern. Für Eigentümer und für die beteiligte Industrie würde sich das lohnen. Bei der Entwicklung der bauwerkintegrierten Photovoltaik (BIPV) hat sich in den vergangenen Jahren viel getan. Doch noch ist der Weg zum Massenmarkt weit. Was bislang alles erreicht wurde und was noch zu tun ist, beleuchtet dieser Beitrag.

Die von der Bundesregierung vorangetriebene Energiewende sieht eine Erhöhung des Stromanteils aus erneuerbaren Energien auf 65 Prozent bis zum Jahr 2030 und auf 100 Prozent bis zum Jahr 2050 vor. * Eine zentrale Säule der zukünftigen Energieversorgung wird die Photovoltaik sein – die inzwischen günstigste Technologie unter den Erneuerbaren. 

Allein in Deutschland sind je nach Szenario 400 bis 500 Gigawatt installierte Photovoltaikleistung zur Erreichung der Klimaschutzziele nötig, hat das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE in der im Februar 2020 erschienenen Studie „Wege zu einem klimaneutralen Energiesystem“ ermittelt. Das ist ungefähr zehnmal so viel wie aktuell errichtet und entspräche einer Modulfläche von umgerechnet rund 2.000 bis 2.500 km². Davon werden rund 200 GWp an Gebäuden installiert. Für die Simulation und Optimierung der Szenarien wurde das am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE entwickelte Energiesystemmodell REMod genutzt, das stundengenaue Betrachtungen für die nächsten 30 Jahre ermöglicht.

Die Flächen und Nutzungsmöglichkeiten für Solarstromanlagen sind hierzulande in ausreichendem Ausmaß vorhanden. „Integrierte Photovoltaik“ lautet das Stichwort, also die flächenneutrale Ein-
bettung der Photovoltaik in die vom Menschen bebaute und veränderte Umwelt. Dies wird künftig eine immer stärkere Bedeutung erlangen. Auf Dächern etwa, wo sich bislang rund 75 Prozent aller Solarstromanlagen in Deutschland befinden, ist noch viel Platz. 

Doch auch auf Freiflächen soll die Photovoltaik einen Beitrag leisten. Darüber hinaus gibt es die Nutzung auf Fahrzeugen und Verkehrswegen, auf Tagebau-, Kies- oder Baggerseen und über landwirtschaftlich genutzten Flächen sowie die Integration in versiegelte Flächen von Städten und Gemeinden, beispielsweise über Parkplätzen und öffentlichen Plätzen. Flächen, die weiter für den ursprünglichen Zweck verwendet werden können, aber gleichzeitig Strom erzeugen und gegebenenfalls noch zusätzlichen Nutzen, z. B. Schatten, bieten. Diese Doppelnutzung erhöht die Flächen- und in vielen Fällen die Ressourceneffizienz.

ISE-3747_rathaus-freiburg-front
Dach und Fassade des Freiburger Rathauses werden aktiv zur Energiegewinnung genutzt, neben der Stromerzeugung über PV auch zur Wärmeerzeugung über PVT-­Kollektoren. Das seit 2017 betriebene „Rathaus im Stühlinger“ der Stadt Freiburg ist das europaweit größte öffentliche Netto-Nullenergiegebäude. Foto: Fraunhofer ISE
ISE-3369-BIPB-Fassade-Rathaus-Freiburg-lpr-CMYK
BIPV-Fassade des Freiburger Rathauses. Foto: ingenhoven architects H.G. Esch

Das solare Potenzial von Gebäudehüllen ist groß: Chance für die Glasindustrie

Besonders interessant ist die Integration der Photovoltaik in Dächer und Gebäudefassaden. Das Potenzial ist riesig: Allein in Deutschland kommen das Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung und das Fraunhofer ISE auf ein technisches Potenzial in Form von nutzbarer PV-­Modulfläche an Gebäuden in Höhe von 2.800 km² (560 GWp) an Dachflächen und 2.200 km² (460 GWp) an Fassadenflächen. Der entsprechende potenzielle Jahresstromertrag aus diesen PV-Anlagen beläuft sich auf 456 TWh/a in Dächern und 215 TWh/a in Fassaden, also insgesamt 671 TWh/a. Die solare Aktivierung von ansonsten brachliegenden Dach- und Fassadenflächen bedeutet daher nicht nur eine sinnvolle Doppelnutzung vorhandener Flächen, sondern bietet sich also geradezu an.

Nimmt man einen Flächenbedarf von fünf Quadratmetern pro installiertes Kilowatt Leistung an, bedeutet eine an Gebäuden installierte Leistung von rund 200 Gigawatt eine Modulfläche von 2.000 km². Da die meisten Module zur Integration in die Gebäudehülle über eine Glasabdeckung verfügen, könnte die deutsche und europäische Glasindustrie hier eine große Wertschöpfung erzielen, entweder mit der Lieferung von Glas oder dem Einstieg in die BIPV-Produktion.

Individuelle BIPV-Module, die industriell hergestellt werden, bieten eine große Chance für europäische Unternehmen. Der Grund: Nach kundenspezifischen Wünschen gefertigte bauwerkintegrierte Module ermöglichen eine nachhaltige Wertschöpfung, da Produkte mit einheitlicher Größe und standardisiertem Design in vielen Fällen von Architekten nicht verwendet werden können. Aufgrund der engen Verflechtung mit dem Bauprozess und der individuellen Herstellung nach Kundenwunsch ist in diesem Markt eine Abwanderung der Produktion an weit entfernte Produktionsstandorte keine Gefahr. Der Markt winkt und ist milliardenschwer.

Solare Gebäudehüllen lohnen sich

Für Gebäudeeigentümer bringt die BIPV viele Vorteile: Module in Fassade oder Dach bieten nicht nur solare Stromerzeugung, sondern können auch klassische Funktionen wie Schallschutz, Wärmedämmung sowie Wind- und Wetterschutz erfüllen. Hinzu kommt die Abschattung bei Anlagen im transparenten Teil der Gebäudehülle. Rückenwind für die solare Nutzung der Gebäudehülle liefert auch der Gesetzgeber: Die Anforderungen an die Minderung der CO2-Emissionen aus dem Gebäudesektor werden kontinuierlich verschärft und die Verpflichtung zur Installation von PV-Anlagen bei Neubauten ist mancherorts bereits wirksam und wird auf Bundesebene momentan diskutiert. Vor diesem Hintergrund wird die BIPV von Architekten und Planern künftig verstärkt eingesetzt werden und damit den großflächigen Einsatz von Photovoltaik bei hoher Nutzerakzeptanz vorantreiben.

Vertikal eingebaute Module nutzen die im Winter tiefstehende Sonne besonders gut aus. Je nach Ausrichtung liefern sie Spitzenwerte nicht im Sommer wie die meisten Aufdachanlagen, sondern im Winter. Damit verringern sich Einspeisespitzen im Sommer. Insbesondere in Kombination mit Dachanlagen ist dadurch ein hoher Eigenverbrauchsanteil vor allem bei Nichtwohngebäuden möglich, was die Wirtschaftlichkeit und die Netzdienlichkeit steigert. Auch Schneefall ist für vertikale BIPV keine Ertragsgefahr. Nicht zuletzt ästhetische Gründe sprechen für die gebäudeintegrierte Photovoltaik: Die Module ermöglichen teiltransparente Glasflächen, lichtundurchlässige Flächen in verschiedenen Farben oder zeigen die Struktur von kristallinen Solarzellen. 

Von einigen Herstellern werden für kristalline Silicium-Module schon Leistungsgarantien für 30 Jahre ausgestellt.

Die BIPV ist zwar teurer als andere Gebäudehüllen; wird jedoch die Gebäudehülle ohnehin saniert oder neu erstellt, reduzieren sich die Mehrkosten deutlich. Eine Amortisation der Mehrkosten innerhalb von rund zehn Jahren ist mittler-weile möglich. Kurzum: Die BIPV spart Material, Energie und Kosten und nutzt Flächen doppelt.

Markt der bauwerkintegrierten Photovoltaik wird wachsen

Erstaunlich ist, dass die BIPV trotz all dieser Vorteile noch nicht eine weitere Verbreitung gefunden hat. Der Marktanteil der bauwerkintegrierten Solarmodule ist weiterhin klein. Nur wenige Gebäudeeigentümer nutzen die vielfältigen Möglichkeiten der Technologie. In den vergangenen Jahren ist das Interesse jedoch spürbar gewachsen. Fachleute rechnen mit einem Anziehen der BIPV-Nutzung. Eine Marktstudie im Auftrag des Fraunhofer ISE aus dem Jahr 2019 prognostizierte ein Marktwachstum bis 2023 um 20 Prozent.

Eine Kostenanalyse zeigt, dass zusätzliche Kosten von 131 € / m² für rentable BIPV-Fas­sa-densysteme zulässig sind. Daraus lässt sich ableiten, dass ein Durchschnittspreis von 150 € / m² zu wirtschaftlich rentablen BIPV-Fassadenmodulen (ohne das Montagesystem, Kabel und Wechselrichter) führt. Solche Preisniveaus sollten bei automatisierten Produktionslinien für kundenspezifische BIPV-Module, die ein großes Potenzial für eine lokale Wertschöpfung haben, möglich sein.

Damit ein wirklicher Massenmarkt entstehen kann, müssen sich jedoch mehrere Rahmenbedingungen ändern. Derzeit bestehen noch erhebliche Wissens- und Informationsdefizite sowohl bei vielen Akteuren im Planungs- und Bauprozess als auch bei Gebäudeeigentümern. Hinzu kommen ineffiziente Planungsprozesse, unzureichende rechtliche Regelungen sowie stark limitierte Produktangebote als wesentliche Hemm­nisse. Dies erhöht die Kosten. Auch die baukulturelle Akzeptanz für Solarfassaden ist eine wichtige Voraussetzung für diesen erforderlichen Ausbau der Photovoltaik. Deshalb braucht es funktional und ästhetisch optimierte Produkte.

BIPV-Stele-hoch-CMYK
Am Fraunhofer ISE entwickelte BIPV-­Module mit hoher Farbsättigung bei gleichzeitig geringen Wirkungsgradverlusten.

Aktueller Stand der Entwicklung

Ein BIPV-System besteht aus Modulen, Wechselrichtern, Kabeln, eventuell Leistungsoptimierern sowie der kon­struktiven Integration der Module in die Gebäudehülle. In allen Bereichen gibt es seit einigen Jahren beachtliche Fortschritte.

Ästhetische Gestaltungsmöglichkeiten

Es gibt zwei grundlegende Gestaltungsoptionen von kristallinen PV-Zellen auf Modulebene: Die bewusste Nutzung der Zellen als Grundelemente von Mus-
tern und die Verwendung von Farbe, mit der die Zellen nicht sichtbar sind. Beide Optionen stehen für Architekten zur Verfügung, um entweder den Einsatz erneuerbarer Technologien hervorzuheben oder die Technologie mit dem Gesamtgebäude und der Umgebung zu verschmelzen. Die Auswahl an solaren Gebäudehüllen ist groß: ob teiltransparente Module mit sichtbaren Siliciumsolarzellen (etwa Design2PV-Module), nichttransparente mit sichtbaren Zellen (BIPV-Module unter anderem im hinter-lüfteten Bereich der Fassade) oder opake in verschiedenen Farben (beispielsweise MorphoColor®-Module). Am Fraunhofer ISE liegt ein Fokus derzeit auf letzterem, den farbigen Modulen. Die Forschenden haben bereits einsatzfähige BIPV-Prototypen mit variablen Zell- und Modulformaten sowie vielfältigen Designoptionen gebaut.

Elektrisches Systemdesign und Designoptionen

Konventionelle PV-Systeme – auf Dächern oder Freiflächen montiert – sind in der Regel für eine maximale elek­trische Leistung bei minimalen Kosten ausgelegt. Im Gegensatz dazu müssen sich BIPV-Systeme in die Geometrie, das Design und die Struktur eines bestehenden oder speziell entworfenen Gebäudes einfügen. 

Bei vielen BIPV-Modulen können daher unterschiedliche Modulgrößen für das gegebene architektonische Design erforderlich sein. Auch sind die Module immer wieder Verschattung durch be-
nachbarte Gebäude oder andere Gebäudeteile ausgesetzt. Aus diesen Gründen gibt es kein universell einsetzbares BIPV-Modul, das alle technischen und ästhetischen Anforderungen erfüllt. Es existieren unterschiedliche Modullösungen und verschiedene elektrische Designs der BIPV-Systeme.

Grundsätzlich gibt es Designoptionen auf der Submodulebene, der Modulebene, der BIPV-Systemebene und der Gebäudeebene. Auf der Submodulebene ist die wichtigste Komponente die PV-Zelle. Es gibt verschiedene marktverfügbare Zell-Technologien: Kristalline Siliciumsolarzellen, mono- oder polykristallin, dominieren. Als Glas-Folie- oder Glas-Glas-Module bieten sie gut handhabbare langlebige Elemente; für die Glasindustrie bietet das eine große wirtschaftliche Chance. 

Neben der kristallinen BIPV gibt es noch Dünnschichttechnologien wie CIGS. Kristalline Solarzellen bieten derzeit die größten Vorteile für BIPV-Anwendungen, insbesondere aufgrund ihrer langen Lebensdauer und weil sie von einem PV-Massenmarkt mit Preisdruck, Verfügbarkeit und schnellen technologischen Fortschritten profitieren. Dies lässt sich auf den BIPV-Markt übertragen. 

Neben der Wahl der Solarzellen kann man die Anzahl der Zellen in horizontaler und vertikaler Richtung innerhalb eines Moduls, die Abstände zwischen benachbarten Zellen sowie zwischen Zellen und Glaskanten, die Ausrichtung der Zellen (z. B. parallel, senkrecht oder gedreht zur Glaskante) und die Zellverbindungstechnik wählen. In der folgenden Abbildung handelt es sich um zurzeit in der Forschung und Entwicklung befindliche Modul-Prototypen mit besonders großem Gestaltungsspielraum.

Wie bei Zellen können auch auf Modulebene leistungselektronische Komponenten nützlich sein, wenn das komplette BIPV-System entworfen und optimiert wird. So muss unter anderem ein MPP-Tracking erfolgen. Hier wird die elektrische Belastung einer Solarzelle, eines Solarmoduls oder von mehreren in Reihe geschalteten Solarmodulen so angepasst, dass den Zellen die größte mögliche Leistung entnommen wird.

Der Wechselrichter, der als zentrale Komponente das elektrische System steuert und betreibt, muss besonders sorgfältig ausgewählt werden. Manche Zell- und Modultechnologien erfordern Wechselrichter mit einem Transformator, um eine galvanische Trennung zwischen Gleich- und Wechselstromkreisen zu gewährleisten oder um eine Wirkungsgradverschlechterung durch die potenzialinduzierte Degradation (PID) zu vermeiden. 

Die meisten heute auf dem Markt erhältlichen Module können jedoch mit transformatorlosen Wechselrichtern betrieben werden, die meist kleiner und effizienter sind. Die Wahl eines Wechselrichters mit geeigneten elektrischen Parametern ist ebenfalls von entscheidender Bedeutung, vor allem wenn man bedenkt, dass BIPV-Systeme oft unter schlechten Lichtverhältnissen oder höheren Temperaturen arbeiten. Daher sind entsprechend niedrige Startspannungen und nicht zu hohe Nennleistungen wichtig.

Bedacht werden sollte auch: Immer öfter bilden BIPV-Systeme einen wichtigen Teil der Gebäudeenergiesysteme. Was den Eigenverbrauch angeht, muss die elektrische Auslegung von BIPV-Systemen den Stromverbrauch im Gebäude und mögliche Speicherkapazitäten berücksichtigen. Das kann dazu beitragen, Angebot und Nachfrage besser aufeinander abzustimmen. Auf der Gebäudeebene ist die Installation einer Batterie, die Integration von Elektrofahrzeugen in das System und die Einführung und Steuerung großer elektrischer Lasten wie Wärmepumpen möglich. Da es Abhängigkeiten zwischen BIPV, Batterien, Wärmepumpen und anderen elektrischen Lasten gibt, sollten das System und die Größe seiner Komponenten ganzheitlich optimiert werden.

Konstruktive Integration in die Gebäudehülle

Ein wichtiger Aspekt ist auch die kon­struktive Integration von BIPV-Modulen in die Gebäudehülle, einschließlich der Positionierung der Module und ihrer Befestigung. Dazu gehören auch die Verkabelung und elektronische Komponenten wie Anschlussdosen oder Optimierer, die auf jedem Modul montiert sind. Dies kann insbesondere Auswirkungen auf die Montagestrukturen, die Ästhetik und die Sicherheit der Anlage haben.

Auf diesem Gebiet gibt es keine grundsätzlichen Schwierigkeiten mehr, die benötigten Systeme sind auf dem Markt verfügbar. Für alle Installationskategorien gibt es verschiedene Lösungen für den Umgang mit diesen zusätzlichen elektrischen Komponenten, die für die spezifische Situation ausgewählt oder angepasst werden können. Wünschenswert ist hier jedoch eine Standardisierung der Befestigungslösungen. Hinzu kommt: Je detaillierter die technischen Vorschriften in einem bestimmten Land umgesetzt werden, desto geringer ist die Eigenverantwortung und Gestaltungsfreiheit der Planer, Produkthersteller und Bauunternehmen. Dies hemmt den BIPV-Markt.

Integrative Planung und Vereinheitlichung der Vorschriften

Die Herausforderung besteht vor allem darin, dass BIPV-Systeme interdisziplinär und gewerkeübergreifend geplant werden müssen, dass die Verantwortung daher oft auf mehrere Schultern verteilt ist und dass manche Akteure mit solchen Komponenten noch nicht vertraut sind. Planung und Installation eines BIPV-Systems sind daher nicht immer schnell, zuverlässig und kostengünstig ausführbar. Widersprüchliche Anforderungen, die sich aus Richtlinien und Vorschriften verschiedener unabhängiger Stellen ergeben, sind ein weiterer Aspekt, der zu Schwierigkeiten bei der Planung, Herstellung und Installation führen kann.

Ein weiteres Problem: In vielen Fällen erfordert die konstruktive Integration von BIPV-Modulen eine projektspezifische Anpassung der Module. Sehr oft betrifft dies die Größe der Module oder die Ästhetik. Mit einer Änderung können sich jedoch die Produkteigenschaften ändern, womit Zertifikate und Zulassungen möglicherweise ungültig sind. Eine mögliche Lösung für die Hersteller ist, die vorbereitenden Prüfungen zu berücksichtigen, aber erst einmal keine Zulassung zu beantragen. Das erhöht die Flexibilität; die Prüfnachweise dienen als Vorlage für die Beantragung einer vorhabenbezogenen Bauartgenehmigung.

Darüber hinaus beeinflussen kundenspezifische Modulgrößen beispielsweise mit spezieller PV-Zellbedeckung der Modulfläche oder individuellen Farben oft den Stromertrag, was wiederum die ökologische Gebäudebewertung und die Produktkennzeichnung nach IEC 61215 und Bauproduktvorschriften betrifft. Eine mögliche Lösung für diese Schwierigkeit besteht darin, mehrere Unterkategorien für ein Produkt zu zertifizieren und jede der Unterkategorien mit einer begrenzten Anzahl von Parametern. Für den Fall von kundenspezifischen Modulgrößen könnte die Anzahl der PV-Zellen pro Modulfläche ein guter Parameter sein.

Bei Planung, Bemessung und Ausführung von PV-Modulen in der Gebäudehülle ist es hilfreich, zwischen mehreren Installationstypen mit den grundsätzlich verschiedenen Anforderungen zu unterscheiden. Installationstypologien finden sich in der zweiteiligen europäischen BIPV-Norm EN 50583 und der zweiteiligen internationalen BIPV-Norm IEC 63092, die auf der Grundlage der EN 50583 vom Technischen Komitee 82 der IEC (photovoltaische Solarenergiesysteme) in Zusammenarbeit mit dem Technischen Komitee 160 der ISO (Glas im Bauwesen) erarbeitet wurde. Im Wesentlichen versuchen IEC 63092 und EN 50583, die Anforderungen aus Normen für Bauprodukte und PV-Systeme zusammenführen. 

Jedoch treten bei den verschiedenen Installationsformen auch Planungsprobleme hervor, die durch die interdisziplinäre Anforderungen an die Nachbruchsicherheit im Innenbereich, an den Schutz gegen Durchsturz-/Absturzsicherheit und an die Nachbruchsicherheit im Außenbereich verursacht werden. Gerade bei diesen Themen sind internationale (z. B. EN ISO 12543) oder europäische produktbezogene Anforderungen (z. B. EN 14449) oft nicht mit nationalen oder lokalen Installations- oder Anwendungsanforderungen abgestimmt.

Architekten und Planer müssen bei der BIPV alle diese Gesichtspunkte berücksichtigen und in die Planung integrieren. Wichtig dabei ist: Der Planungsprozess für eine energieeffiziente und ressourcenschonende BIPV-Anlage durchzieht alle neun Leistungsphasen. Die Schwerpunkte bei der Planung liegen unter anderem auf der Bestimmung der zu installierenden PV-Fläche, damit verbunden auf der Potenzialeinschätzung (z. B. Ertragsabschätzung inkl. Verschattungsanalyse), der elektrischen Auslegungsberechnung sowie letztendlich der Wirtschaftlichkeit des Systems. 

Im Weiteren sind die elektrische Verschaltung und Kabelführung sowie die multifunktionale Bewertung der Komponenten für die Gebäudehülle von Interesse. Darüber hinaus sind in der Planung frühzeitig bauordnungsrechtliche Aspekte zu beachten, nämlich die bestimmungsgemäße Ausführung und Verwendung von PV-Modulen als Bauprodukt sowie deren Anwendung als Bauart. Auch Konzepte für die Wartung und das Monitoring sind hilfreich für die effektive und nachhaltige Nutzung der PV-Module nach ihrer Installation. Nicht zuletzt muss bei BIPV-Systemen das Brandschutzverhalten der Module nachgewiesen werden, wenn die Baubehörden die Verwendung von nichtbrennbaren oder schwer entflammbaren Materialien fordern.

Da die neuen Produkte vollständig in Planung, Bau und Betrieb der Gebäude integriert werden müssen, sollten Solarfassaden einen angemessenen Platz in der Bauwerksdatenmodellierung, englisch Building Information Modelling (BIM), erhalten. Im Projekt SolConPro und dem 2018 gestarteten Projekt SCOPE arbeitet das Fraunhofer ISE mit Partnern aus Bauindustrie und Informationstechnik genau daran. Einem Planer, der eine Fassade sucht, soll künftig über BIM die Option „Solarfassade“ ähnlich einfach zur Verfügung stehen wie herkömmliche Fassaden oder andere Bauteile.

In einem weiteren 2020 gestarteten Forschungsprojekt zur BIPV im Rahmen der Solaroffensive Baden-Württemberg erarbeitet das Fraunhofer ISE mit vier Projektpartnern bis Anfang 2023 einen Leitfaden, um die Planungs- und Bauprozesse mit BIPV zu optimieren sowie einen Entwurf einer BIPV-Richtlinie als Empfehlung für die Politik. Die angestrebte Vereinfachung der Bauplanung soll Fachleuten zugute kommen und die Energiewende beschleunigen.

Weitere nötige Schritte

Mit den technologischen Gestaltungsmöglichkeiten können BIPV-Systeme auf eine Vielzahl von Gebäuden zugeschnitten werden. Weitere wichtige zukünftige Schritte auf dem Weg zum Massenmarkt wären eine zunehmende Zahl von Leuchtturmprojekten, die die Sichtbarkeit erhöhen und das Sammeln von Erfahrungen mit BIPV ermöglichen. Nötig sind auch innovative Geschäftsmodelle im Rahmen zukünftiger erneuerbarer Energiesysteme, vereinfachte und harmonisierte Vorschriften sowie eine allgemein zunehmende Digitalisierung.

Insbesondere die Digitalisierung der gesamten Wertschöpfungskette wäre sehr hilfreich für den Bausektor im Allgemeinen und die BIPV-Technologie im Besonderen, da sie eine reibungslose und qualitätsgesicherte Kommunikation zwischen den verschiedenen Gewerken und während des gesamten Bauprozesses ermöglicht. Dann stünden dem BIPV-Massenmarkt tatsächlich keine Hindernisse mehr im Weg. 

Das Solarmodul in der Gebäudehülle würde dann so selbstverständlich werden wie heute die Rollläden am Fenster. Dies würde nicht nur den Energieverbrauch von Gebäuden nachhaltiger gestalten, sondern könnte auch der europäischen Solarindustrie neues Leben einhauchen und die Energiewende im Gebäudesektor in Schwung bringen.

p_JPF_200709_1272-CMYK-300ppi
Markus Müller (Präsident AKBW), Prof. Dr. Andreas Bett (Institutsleiter Fraunhofer ISE), Umweltminister Franz Untersteller, Prof. Dr. Michael Powalla (ZSW-Vorstand) und Prof. Dr. Thomas Stark (HTGW) vor der PV-Fassade des ZSW bei der Übergabe des Bewilligungsbescheides für das BIPV-Projekt im Rahmen der Solaroffensive Baden-Württemberg. Foto: ZSW

Die wichtigsten Vorteile der BIPV auf einen Blick:

Die BIPV weist gegenüber Freiflächen-Photovoltaikanlagen wesentliche Vorteile auf:

  • Durch die zusätzliche Nutzung ohnehin erforderlicher bzw. vorhandener Fläche entsteht ein hohes Maß an Synergie: Steigerung der Flächeneffizienz.
  • Das Solarelement kann Funktionen von Dach- und Fassadenbauteilen übernehmen und ermöglicht somit eine Einsparung von Ressourcen für die Herstellung konventioneller Baumaterialien: Steigerung der Material‐ und Energieeffizienz. 
  • Ebenso wird in diesem Fall eine Einsparung von Investitions- und Unterhaltskosten konventioneller Baukomponenten ermöglicht: Steigerung der Kosteneffizienz. 
  • Durch die unmittelbare Energieerzeugung am Gebäude ist ein hohes Maß an Eigenverbrauch möglich: Steigerung der Netzdienlichkeit. 
  • Dies kann durch die Einbindung in Gebäudeenergiekonzepte mit strombasierter Wärmeversorgung und Elektromobilität zusätzlich optimiert werden: Steigerung der Sektorenkopplung. 

* Aufgrund der aktuellen politischen Entwicklungen ist mit einer Beschleunigung und Verschärfung der Anforderungen zu rechnen.

Rubrik: ,
Geschrieben von
Extern
Diesen Beitrag teilen auf:
Weitere Artikel aus der Rubrik: ,
magnifiercross