Energie-, Lieferkettenkrise, exorbitante Preissteigerungen setzen dem Handwerk zu. 14 Verbände und Interessensvertretungen positionieren sich gegenüber der Bundesregierung.
Aufgrund der Kriegsereignisse in der Ukraine und der in der Folge verhängten weltweiten Sanktionen gegen Russland sind die Preise vieler Baustoffe zum Teil extrem gestiegen. Rund 30 Prozent des Baustahls kommen aus Russland, der Ukraine und Weißrussland. Hinzu kommt der hohe Anteil von Roheisen (40 Prozent aus diesen Ländern) und diverser weiterer Rohstoffe, die für die Stahllegierung notwendig sind (Nickel 25 Prozent und Titan 75 Prozent). Auch rund 30 Prozent der hiesigen Bitumenversorgung erfolgt in Abhängigkeit von Russland, mit entsprechenden Auswirkungen auf den deutschen Straßenbau. Glashütten in Russland, betrieben von ausländischen Investoren, die auch den europäischen Markt belieferten, mussten geschlossen werden. Die Kosten für Energie und Kraftstoffe sind ins unermessliche gestiegen. Hinzu kommen große Problem bei den Lieferketten und der Energieversorgung, die die „neue Regierung“ vor große Herausforderungen stellen.
Schnell können daraus drastische Entwicklungen für zentrale Wirtschaftszweige entstehen. Die Folgen aus den Kriegsgeschehen treffen die Branchen im Gebäudesektor bereits mit voller Wucht. Zeichnete sich am „Horizont der Lieferkettenschwierigkeiten“ – aufgrund der Corona-Pandemie – eine erste Entspannungen ab, so wurden diese wegen der Kriegsereignisse in der Ukraine und den damit verbundenen weltweiten Vergeltungsmaßnahmen im Keim erstickt. Konsequenz: erhebliche Lieferengpässe und drastische Kostensteigerungen nicht nur auf den Rohstoffmärkten, sondern besonders auch auf dem Energiesektor. Das hat wiederum erhebliche Auswirkungen auf Industrie, Handel und Handwerk.
Auch die aktuelle Energiepreisentwicklung hat auf nahezu alle Baumaterialien eine erhebliche Auswirkung. Bauprodukte wie beispielsweise Fensterglas werden in energieintensiven, in der Regel mit Erdgas befeuerten industriellen Großanlagen, hergestellt. Die aus dem massiv gestiegenen Erdgaspreis resultierende Verteuerung der Produkte trifft alle Unternehmen der Wertschöpfungskette wie auch die Endverbraucher.
So können viele Handwerker bereits nicht mehr wirtschaftlich sicher kalkulieren oder Aufträge fristgerecht umsetzen, weil es schlicht an Baumaterialien fehlt, die nicht geliefert werden können, in der Logistik feststecken oder der Glaspreis kalkulatorisch nicht mehr sicher zu erfassen ist, da der Einkauf immer häufiger über Tagespreise erfolgt.
Vor dem Hintergrund dieses mehr als besorgniserregenden Szenarios haben 14 Verbände und Interessensvertretungen Bundesverband Flachglas e.V., Bundesverband Deutscher Fertigbau. e.V., Fachverband Baustoffe und Bauteile für vorgehängte hinterlüftete Fassaden e.V., Fachverband Schloss- und Beschlagindustrie e.V., Hauptverband der Deutschen Holzindustrie und Kunststoffe verarbeitenden Industrie und verwandter Industrie- und Wirtschaftszweige e.V., Industrievereinigung Rollladen-Sonnenschutz-Automation e.V., Repräsentanz Transparente Gebäudehülle GbR, Bundesverband Rollladen + Sonnenschutz e.V., Tischler Schreiner Deutschland, Qualitätsverband Kunststofferzeugnisse e.V., Verband Fenster + Fassade (VFF), Gütegemeinschaft Schlösser- und Beschläge e.V., Fachverband Schloss- und Beschlagindustrie e.V. und der Bundesinnungsverband des Glaserhandwerks- ein Positionspapier/Verbändepapier – gerichtet an die Bundesregierung – erarbeitet, was den dringend politischen Handlungsbedarf aufzeigt, um irreparablen Schäden abzuwenden.
Unter anderem wird darin auf die Kostensteigerung bei Bauprodukten und Risiken bei einer Verknappung am Gasmarkt eingegangen.
So zeigt das Verbändepapier deutlich die Folgen einer Verknappung am Gasmarkt auf: „Wie insbesondere der Bundesverband Glasindustrie e.V. bereits ausführlich dargelegt hat, sind Industrieanlagen zur Produktion von Glas technisch darauf angewiesen, ohne Unterbrechung laufen zu können. Werden sie abgeschaltet, ist ein Defekt der Anlage mit bis zu dreistelligen Millionenschäden die Folge. Zudem würde es Jahre dauern, die Produktionsanlagen zu ersetzen. Ein vollständiger Zusammenbruch der Glasindustrie, Mineralwolle- oder Keramik-/Ziegelindustrie, auch mit erheblichen Auswirkungen auf die Lieferfähigkeit von Fenstern und Fassaden in Deutschland und damit Beitrag zur energetischen Sanierung, wären die Folgen.“
Entsprechende Lösungsvorschläge wurden gleich mitgeliefert: „Im Fall einer staatlichen Rationierung vorhandener Gasvorräte, müssen die für die Energiewende und damit die Versorgungssicherheit relevante Branchen besonders geschützt werden, um weiterarbeiten zu können. Dies muss in der derzeit laufenden Erarbeitung von Notfallplänen dringend berücksichtigt und festgelegt werden. Beide Punkte gelten in besonderem Maß für die Glasindustrie und Mineralwollindustrie, die im Fall eines Herunterfahrens der Glashütten/Produktionsstätten vor dem Aus stünden.“
Hinsichtlich der Kostensteigerung der Bauprodukte gab es in dem Verbändepapier dann auch konkrete Lösungsansätze für die Produktgruppen Glas und Kunststoff, Mineralwolle und Keramik/Ziegel, die bis zum jetzigen Zeitpunkt – bei all den Überlegungen in Berlin –keine Berücksichtigung fanden. Daher fordern die Verbände konkret:
- Die Anwendbarkeit und nachträgliche Nutzbarkeit/Vereinbarung von Preisgleitklauseln als ein entscheidendes Instrument, um die Verteilung der Kostensteigerungen fair zwischen Herstellern, Vertriebsunternehmen, Montageunternehmen und Kunden aufteilen zu können. Der Erlass des Bundesbauministeriums vom 25. März, demzufolge die Bundesregierung bereit ist, mit entsprechenden Klauseln für die Bauprojekte des Bundes zu reagieren, wird begrüßt. Nicht verständlich ist jedoch, warum Glas und Kunststoff, Mineralwolle und Keramik/Ziegel nicht in den aufgelisteten Produktgruppen enthalten sind. Aus den genannten Gründen muss der Baustoff Glas und Kunststoff unbedingt mit aufgenommen werden.
- Die Bundesregierung sollte allen Bauauftraggebern der öffentlichen Hand auf Landes- und Kommunalebene die Nutzung vergleichbarer Regelungen nahelegen. Die Bauauftraggeber der öffentlichen Hand auf Landes- und Kommunalebene werden ersucht, sich am Erlass des Bundesbauministeriums zu orientieren und sich um faire Regelungen zur Verteilung von aus der Krise entstehenden Mehrkosten zu bemühen.
- Die o.g. Bauprodukte für die Gebäudehülle sind in höchstem Maße relevant für die energetische Modernisierung und die Herstellung energieeffizienter Neubauten. Sie sorgen nicht nur direkt für eine Reduktion des Erdgasverbrauches, sondern ermöglichen durch die Verbrauchsreduktion auch den Wechsel von klassischen, fossilen Heizungsarten zu Heizungen auf Basis erneuerbarer Energien, insbesondere zur Wärmepumpe. Auf Grund dieser Relevanz für die Energie- und Klimaziele und für die Versorgungssicherheit im Energiesystem ist es von entscheidender Bedeutung, vorhandene Förderprogramme finanziell abzusichern und so auszubauen, dass umfangreiche Sanierungsmaßnahmen an der Gebäudehülle ebenso hoch gefördert werden wie der Umstieg von Öl-/Gasheizungen zu erneuerbaren Energien.
- Die Entlastung der Wirtschaft durch die hohen Energiepreise ist im Entlastungspaket II der Bundesregierung noch nicht konkret formuliert. Die Europäische Kommission hat im Vorfeld des Europäischen Rates vom 24./25. März 2022 ihre Mitteilung zum befristeten Krisenrahmen zur Stützung der Wirtschaft infolge der Invasion der Ukraine durch Russland vorgelegt. Die darin enthaltenen Hilfen für betroffene Wirtschaftssektoren gilt es, jetzt umgehend konkret national umzusetzen. Die von den Bundesministern Dr. Robert Habeck und Christian Lindner am 8. April vorgestellten Maßnahmen sind sinnvoll – insbesondere der Kostenzuschuss für Unternehmen, die in besonderem Maße von Energiepreissteigerungen betroffen sind. Wichtig ist, dass diese Entlastung so ausgestaltet wird, dass sie in der gesamten Wertschöpfungskette wirksam wird. Eine unbürokratische und schnelle Umsetzung des Programms ist zudem essentiell. Darüber hinaus muss eine staatliche Kontrolle und gegebenenfalls Regulierung der Energiepreise zwar nach Kräften vermieden, im Fall einer weiteren Zuspitzung der Krise jedoch temporär in Erwägung gezogen werden.
Auch der Zentralverband des Handwerks (ZDH) ist aufgerufen worden, das Verbändepapier mitzutragen, denn immerhin hat sich hier eine „Wirtschaftsmacht“ zu Wort gemeldet, die am Ende maßgeblich am Erreichen der von der Bundesregierung ausgerufenen Klimaschutzziele beitragen wird.